Franz Theodor Csokor - Preis 1998
verliehen durch das österreichische P.E.N. - Zentrum


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Zur Verleihung des F. Th. Csokor - Preises 1998

an den Autor

HERBERT BERGER

im Saal des Wiener Presseclubs CONCORDIA
am 18. Mai 1998




Begrüßung: PROF. DR. ALEXANDER GIESE


Laudatio: FRITZ VON FRIDEL


Der Franz Theodor Csokor - Preis 1998 wurde von der BAWAG gestiftet.



HERBERT BERGER

Dankesrede anläßlich der Verleihung des Franz Theodor Csokor-Preises 1998

Ich habe mir überlegt, ob ich nicht - die Leute sind von mir Böse Stücke gewöhnt - eine böse Rede halten könnte, damit der P.E.N.-Club und ich in die Zeitungen kommen, ich habe mir auch überlegt, ob ich nicht eine völlig unverständliche Rede halten sollte, in einer für diesen Anlaß erfundenen Sprache. Aber Anfänger im Preisentgegenehmen, der ich bin, steht dem ein großes Hindernis im Weg, nämlich mein Respekt vor dem Namensgeber dieses Preises, vor Franz Theodor Csokor. Und so will ich über meine ganz persönlichen Gründe, diesen Mann besonders zu respektieren, hier zum ersten Mal reden. Zum ersten Mal - ich betone das, weil auch in dem Gremium, das mir diesen Preis zuerkannte, niemand etwas davon wissen konnte. Hier spielt einer jener Zufälle eine Rolle, die in unserem Leben plötzlich frappante Sinnzusammenhänge herstellen.

Man kann die Verhängnisse dieser Welt erst begreifen, wenn sie erzählt werden. Und Franz Theodor Csokor hat etwas in einem autobiographischen Buch erzählt, dem ich einen Teil meiner nachpubertären Sozialisation verdanke. Er war eine jener Gestalten, die nach der Katastrophe des Dritten Reiches so etwas wie einen österreichischen Patriotismus möglich machten. Bei einem Kosmopoliten wie ihm ist das vielleicht etwas Widersinniges, aber ich habe sein Buch "Als Zivilist im Balkankrieg", das muß Anfang der 50er-Jahre gewesen sein, eben so aufgefaßt. Es war der erste große Bericht eines Emigranten, den ich las. Und in meinem jugendlichen Enthusiasmus sah ich in ihm auch eine Metapher für das Schicksal des Landes, in dem ich lebte. Man hatte dieses Österreich kurz zuvor von seinem Platz in Geographie und Geschichte entfernt, es hatte die Flucht ergriffen, es war in die Emigration gegangen, es war in Lager verfrachtet worden. Es verkörperte sich in Menschen wie diesem Dichter aus Wien und jedenfalls nicht in Leuten, die das Ende Österreichs bejubelt und es abgeschafft hatten. Ich wußte auch aus vorerst unverstandenen Kindheitserinnerungen, daß es sich in kleine, versteckte Winkel zurückgezogen hatte. In Winkel, in denen sich Angst, Resignation, Ohnmacht mit Opportunismus zu einer Art Überlebensstrategie verbunden hatten. Und ich war zu dem Schluß gekommen, daß es sich niemals in jenen Figuren verkörpern konnte, die sich aus freien Stücken in den Dienst der mörderischen Ideologie gestellt hatten.

Dieses Wissen ist heute einer der Gründe, warum manche aus meiner Generation der These von der Mitschuld Österreichs an den Naziverbrechen nicht zustimmen können. Welches Österreich ist denn da gemeint? Das abgeschaffte, das nicht vorhandene, oder das verfolgte, vertriebene, ermordete? Ein anderes gab es nicht. Und es scheint mir daher intellektuell unredlich, die vielen Mitmacher und Mitschuldigen über oder durch Österreich zu definieren.

Ich begebe mich mit solchen Überlegungen auf Glatteis, das weiß ich. Zumal ein Begriff wie Patriotismus sich gar nicht gut ausnimmt in Intellektuellenkreisen. Er ist hoffnungslos antiquiert und er ist überdies in den Geruch der Fremdenfeindlichkeit oder wenigstens einer Tendenz zur Ausgrenzung geraten.

Und damit komme ich zum zweiten gravierenden Eindruck, der den ersten noch vertieft hat: Was ich und, wie ich weiß, auch eine Reihe meiner Altersgenossen aus den Aufführungen des Stückes "3. November 1918" im "Theater der Jugend" mitnahmen, war die Erkenntnis, daß es einen Patriotismus ohne Nationalismus gibt. Man hat Franz Theodor Csokor vorgeworfen, er verkläre damit die Donaumonarchie. Aber das ist nicht richtig. Er ist nicht so naiv oder gar primitiv. Was er vorführt ist eine Utopie, die in diesem Staatsgebilde angelegt war, aber erst im Augenblick der Zerstörung richtig sichtbar wurde. Vor die Negativfolie des Unterganges setzte Csokor in seiner eindrucksvollen dramatischen Metapher die Grundidee Österreichs, der Überstaat der freien Völker werden zu sollen. In ihm hätte die einzige sinnvolle Machtausübung darin zu bestehen gehabt, den Egoismus der einzelnen Nationen zu unterbinden und jedem Volk das Bewußtsein einzuflößen, kein Recht zur Unterdrückung, Benachteiligung oder Bevormundung der anderen Völker zu haben.

Der Autor Csokor sagt nicht einfach: So war es. Er berichtet, wie es einer Utopie angemessen ist, in einer Art dramatischem Konjunktiv. Csokor unterstellt eine solche Staatsidee nicht als gelebte Realität, sondern als Utopie, die an der Indolenz und am Herrschaftsanspruch nationalistischer und rassistischer Bewegungen scheitert. Sie wird zuschanden an unfaßbaren Denkkonstruktionen, in denen die Höher- oder Minderwertigkeit ganzer Völker bewiesen werden soll. Und wie sie scheitert, schon lange vor dem militärischen Zusammenbruch, auch das wird in dem Drama deutlich, ebenso wie die blutigen Konsequenzen, die nach diesem Zusammenbruch zu erwarten waren.

Dieses Drama berichtet nicht nur über eine Utopie, es ist - wie jedes gute historische Stück - zugleich auch selber utopisch, also ein utopisches Stück. Eines, das uns in einer Zeit, in der die Völker Europas ihr Zusammenleben neu organisieren und in einer Zeit, in der darüber gestritten wird, wer dazugehören soll und wer nicht, viel zu sagen hätte. Aber der politische Horizont in den Dramaturgien scheint seit längerem etwas beengt. Man kann dramatische Metaphern kaum mehr entschlüsseln und sieht nur mehr die Oberfläche - in diesem Fall nur eine Art Requiem auf die Donaumonarchie. Die Einsicht, daß die Vergangenheit auch eine maßstabsetzende Vorvergangenheit hat, scheint nicht weit verbreitet und man erkennt nicht, daß das Stück viel mit unserer Gegenwart und Zukunft zu tun hat. Deshalb denke ich, kann ich meinen Dank für diese Auszeichnung am besten abstatten, indem ich die Gelegenheit benutze, dieses Werk von Franz Theodor Csokor in Erinnerung zu rufen. Spielt es!

 

Quellen:
1) Einladung des österreichischen P.E.N. - Zentrums zur Verleihung des F. Th. Csokor - Preises 1998
2) Herbert Berger , Anläßlich der Verleihung des F. Th. Csokor - Preises 1998

 

 

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Created & © by broz.at letzte Änderung: 14.10.2019